Das Chamäleon: Der unglaubliche Fall von Frédéric Bourdin und die gestohlene Identität von Nicholas Barclay

Im Laufe der Geschichte hat es viele Fälle von Menschen gegeben, die ihre Identität gewechselt haben, um Verbrechen zu begehen, vor ihrer Vergangenheit zu fliehen oder einfach ein neues Leben zu beginnen. Aber nur wenige können sich mit der Geschichte von Frédéric Bourdin, dem Mann mit den tausend Gesichtern, messen.

Verloren und gefunden: Die erschütternde Geschichte von Nicholas Barclay und dem Hochstapler, der seine Identität stahl

Die Geschichte von Nicholas Barclay, einem vermissten Teenager aus Texas, hielt die Welt in Atem. Seine Familie erlebte eine Achterbahnfahrt der Gefühle, als sie ihren Sohn nach Jahren der Suche und Verzweiflung endlich wieder in die Arme schließen konnte – nur um später herauszufinden, dass sie Opfer eines der raffiniertesten Täuschungsmanöver der Kriminalgeschichte geworden waren.

Die Rückkehr des verlorenen Sohnes

Es war der 13. Juni 1994, als Nicholas Barclay, ein 13-jähriger Junge aus San Antonio, Texas, spurlos verschwand. Seine Familie begann eine verzweifelte Suche nach ihrem geliebten Sohn und Bruder. Jahre vergingen, und obwohl sie nie aufgaben, begann die Hoffnung auf ein Wiedersehen zu schwinden.

Dann geschah das Unglaubliche. Im Oktober 1997 erhielten sie einen Anruf, der ihr Leben für immer verändern sollte. Nicholas war am Leben und gesund, gefunden in einem Waisenhaus in Linares, Spanien. Überwältigt von Erleichterung und Freude flog die Familie nach Spanien, um ihren verlorenen Sohn in die Arme zu schließen.

Wiedersehen mit gemischten Gefühlen

Als sie Nicholas nach all den Jahren zum ersten Mal sahen, war die Familie überrascht, wie sehr er sich verändert hatte. Der einst blonde und blauäugige Junge hatte nun dunklere Haare und Augen. Doch sie führten diese Veränderungen auf die traumatischen Erlebnisse zurück, von denen Nicholas berichtete: Entführung, Missbrauch und schließlich seine Flucht. Sie waren einfach dankbar, ihn wieder bei sich zu haben.

Zurück in Texas

Zurück in den Vereinigten Staaten begann Nicholas langsam, sich an sein altes Leben zu gewöhnen. Doch mit der Zeit kamen der Familie immer mehr Zweifel. Sein Akzent klang eher französisch als texanisch, und manche seiner Erinnerungen passten nicht zu dem Leben, das sie kannten.

Die Horrorgeschichte

Nicholas behauptete, er sei entführt worden und in die Hände einer Organisation geraten, die Kinderhandel und -missbrauch betreibe. Diese Organisation habe ihren Sitz in Europa gehabt, wo er gezwungen worden sei, als Sexsklave zu arbeiten. Während dieser Zeit habe er unvorstellbare Misshandlungen und Folter erlitten. Er beschrieb, wie er ständig geschlagen, gequält und sexuell missbraucht wurde.

Die Flucht

Nach einigen Jahren der Gefangenschaft soll es Nicholas gelungen sein, seinen Entführern zu entkommen und in einem Waisenhaus in Linares, Spanien, Zuflucht zu finden. Dort habe er sich den Behörden offenbart, die seine Familie in den USA kontaktierten.

Die Rolle des FBI bei den Ermittlungen

Das FBI spielte eine entscheidende Rolle bei der Aufdeckung der Wahrheit hinter Nicholas‘ Geschichte. Schon bald nach seiner Rückkehr in die USA wurden einige Agenten misstrauisch angesichts der widersprüchlichen Angaben, die Nicholas ihnen machte. Sein Akzent, seine Erinnerungen und sogar seine körperlichen Merkmale passten nicht zu dem, was sie über den echten Nicholas Barclay wussten.

Eine entscheidende Beobachtung, die das FBI machte, war, dass Nicholas eine auffällige Tätowierung auf der Hand hatte, die nicht zu dem passte, was sie über den vermissten Jungen wussten. Außerdem konnten sie nicht übersehen, dass sich seine Haar- und Augenfarbe deutlich von der des echten Nicholas unterschied.

Die erstaunliche Geschichte hinter der veränderten Augenfarbe

Nicholas behauptete, seine Entführer hätten seine Augenfarbe verändert, um seine wahre Identität zu verbergen und ihn unkenntlich zu machen. Sie hätten ihm spezielle Augentropfen verabreicht, die seine Iris dauerhaft verfärbt hätten. Dies mag unglaublich klingen, aber Nicholas trug seine Geschichte so überzeugend und detailliert vor, dass die Familie Barclay und einige Beamte ihm zunächst glaubten.

Die Zweifel wachsen

Trotz der fesselnden Geschichte wurden einige Familienmitglieder, FBI-Agenten und der Privatdetektiv Charlie Parker misstrauisch. Sie erkannten, dass es unwahrscheinlich war, dass es eine Technik gab, die die Augenfarbe eines Menschen dauerhaft verändern konnte. Ihre Zweifel veranlassten sie, weitere Nachforschungen anzustellen, um die Wahrheit über den Mann herauszufinden, der behauptete, Nicholas Barclay zu sein.

Die Wahrheit kommt ans Licht

Im Laufe ihrer Ermittlungen fanden die FBI-Agenten und der Privatdetektiv heraus, dass Nicholas‘ Geschichte über die Veränderung seiner Augenfarbe frei erfunden war. Es stellte sich heraus, dass die Veränderung der Augenfarbe nur eine von vielen Lügen war, die der junge Mann erfunden hatte, um seine wahre Identität zu verbergen und die Familie Barclay zu täuschen.

Schließlich lieferte der Forensiker Dr. Richard Greystone den endgültigen Beweis, indem er die Ohren des angeblichen Nicholas mit denen des echten Nicholas Barclay verglich, die nicht übereinstimmten. Dann kamen die US-Behörden ins Spiel.

Im Laufe der Ermittlungen überprüfte das FBI die Fingerabdrücke, die in ihrer Datenbank mit denen von Frédéric Bourdin übereinstimmten. Die Fingerabdrücke von Frédéric Bourdin befanden sich in der Datenbank, weil er vor seiner Enttarnung als Nicholas Barclay bereits wegen anderer Betrügereien und Identitätsdiebstähle in Europa verhaftet worden war. Bourdin hatte sich in der Vergangenheit mehrfach als vermisstes Kind ausgegeben und sich in verschiedenen Ländern bei Behörden und Familien Schutz und Unterstützung erschlichen.
Diese Ergebnisse führten 1997 zur Enttarnung und Verhaftung von Frédéric Bourdin, der wegen Entführung, illegaler Einreise und Missbrauchs einer fremden Identität angeklagt wurde.

Meister der Täuschung

Frédéric Bourdin war ein Meister der Täuschung und hat im Laufe der Jahre eine beeindruckende Anzahl von Identitäten angenommen. Sein bekanntester Fall ist der des vermissten Nicholas Barclay, aber er hat auch in zahlreichen anderen Fällen die Identität vermisster Kinder und Jugendlicher angenommen. Hier sind einige weitere bemerkenswerte Täuschungen, die Bourdin begangen hat:

Léo Balley

Im Jahr 2001 gab Bourdin vor, Léo Balley zu sein, ein französischer Junge, der 1996 verschwunden war. Bourdin kontaktierte die Familie des vermissten Kindes und behauptete, Léo gefunden zu haben. Er schickte sogar ein Foto von sich als vermeintlichen Beweis. Die Familie flog sofort nach Paris, um ihren Sohn abzuholen, nur um festzustellen, dass es sich bei dem Mann um Frédéric Bourdin handelte.

Ruben Sanchez Espinoza

1997, kurz vor dem Fall Nicholas Barclay, gab sich Bourdin als Ruben Sanchez Espinoza aus, ein vermisster Jugendlicher aus Spanien. Er behauptete, von seinem Vater misshandelt worden und deshalb weggelaufen zu sein. Die spanischen Behörden fanden jedoch bald seine wahre Identität heraus und Bourdin wurde abgeschoben.

Francisco Hernández Fernández

In einem anderen Fall aus dem Jahr 1998 gab Bourdin vor, ein vermisster Jugendlicher namens Francisco Hernández Fernández aus Spanien zu sein. Es gelang ihm sogar, in einem Kinderheim in Frankreich unterzukommen, bevor seine wahre Identität aufgedeckt wurde.

Benjamin Kent

Ein weiterer Fall ereignete sich 2003, als Bourdin sich als Benjamin Kent ausgab, ein angeblich britischer Jugendlicher, der in Frankreich lebte. Er lebte einige Zeit unter dieser Identität, bevor seine Lügen aufflogen.

Insgesamt hat Frédéric Bourdin im Laufe seiner kriminellen Karriere die Identität von etwa 40 vermissten Kindern und Jugendlichen in Europa und den USA angenommen. Sein Talent, neue Identitäten anzunehmen und Menschen zu manipulieren, hat ihm den Spitznamen »Chamäleon« eingebracht.

Der Hochstapler mit den tausend Gesichtern

Geboren am 13. Juni 1974 in Nanterre, einem Vorort von Paris, hatte Bourdin eine turbulente und schwierige Kindheit, die seine spätere kriminelle Karriere beeinflusste.

Frédéric Bourdin wurde als Sohn einer alleinerziehenden Mutter, Ghislaine Bourdin, geboren. Sein Vater, ein algerischer Einwanderer namens Kaci, hatte die Familie vor Frédérics Geburt verlassen. Ghislaine hatte Schwierigkeiten, eine stabile Beziehung zu Frédéric aufzubauen, weshalb sie ihn in seinen ersten Lebensjahren mehrmals in Pflegefamilien und sogar in ein Waisenhaus gab.

Er fühlte sich in seiner Kindheit oft ungeliebt und verlassen, was zu einer tief verwurzelten Unsicherheit und dem Bedürfnis nach Aufmerksamkeit und Zuneigung führte. Diese emotionalen Bedürfnisse, gepaart mit einer außergewöhnlichen Intelligenz und einer bemerkenswerten Beobachtungsgabe, legten den Grundstein für seine spätere Karriere als Betrüger.

Bourdins kriminelle Karriere begann im Alter von 16 Jahren, als er zum ersten Mal als vermisstes Kind auftrat. In den folgenden Jahren gab er sich in Europa und den USA als Dutzende von vermissten Kindern und Jugendlichen aus.

Das Leben nach dem Betrug

Obwohl Bourdin für seine Verbrechen inhaftiert und bestraft wurde, konnte er seinen Drang zur Täuschung nicht ablegen. Nach seiner Entlassung setzte er seine Betrügereien fort und geriet immer wieder ins Visier der Strafverfolgungsbehörden. Bourdins Geschichte wurde schließlich Gegenstand mehrerer Dokumentarfilme, Bücher und Artikel, die seine bizarren und faszinierenden Identitätswechsel beleuchteten.

Die Psychologie von Bourdins Taten

Einige Experten haben versucht, die Motive hinter Bourdins wiederholten Identitätswechseln zu ergründen. Einige glauben, dass seine schwierige Kindheit und sein Bedürfnis nach Anerkennung und Liebe ihn dazu brachten, sich als vermisste Kinder auszugeben, um in deren Familien aufgenommen zu werden. Andere sehen in Bourdin einen Narzissten, der sich von der Aufmerksamkeit und dem Nervenkitzel des Schwindels angezogen fühlte.

Faszination Frédéric Bourdin

Die Geschichte Bourdins ist faszinierend und erschütternd zugleich. Einerseits ist es schwer, die Angst und den Schmerz der Familien zu ignorieren, die Bourdin als ihr vermisstes Kind aufnahmen, nur um später herauszufinden, dass sie betrogen wurden. Andererseits zeigt Bourdins Leben auch die beeindruckende Fähigkeit des menschlichen Geistes, sich anzupassen und unter schwierigen Umständen zu überleben.

Der Fall Frédéric Bourdin in der Popkultur

Filme

»Der Schmetterling« (Originaltitel: »Le Papillon«) ist ein französischer Film aus dem Jahr 2004, der auf der Geschichte von Frédéric Bourdin basiert. Der Film erzählt die fiktive Geschichte eines Mannes, der sich als vermisster Junge ausgibt, um bei einer Familie unterzukommen.

»The Imposter« ist ein britischer Dokumentarfilm aus dem Jahr 2012, der sich auf Bourdins Betrug im Fall Nicholas Barclay konzentriert. Der Film zeigt Interviews mit Bourdin, der Familie Barclay und Ermittlern, die an dem Fall beteiligt waren.

Bücher

»The Chameleon: The True Story of Frédéric Bourdin« von Christophe d’Antonio ist eine Biographie, die Bourdins Leben und seine Täuschungen im Detail untersucht. Das Buch wurde 2010 in französischer Sprache veröffentlicht.

»The Man Without a Face: The Unlikely Rise of Vladimir Putin« von Masha Gessen enthält ein Kapitel über Frédéric Bourdin und seine Täuschungen. Das Buch ist in erster Linie eine Biografie des russischen Präsidenten Wladimir Putin, aber das Kapitel über Bourdin bietet einen interessanten Einblick in dessen Aktivitäten.

Empfehlenswert ist auch Lydia Beneckes Buch »Betrüger, Hochstapler, Blender: Die Psychologie der Manipulation«.

Der Fall Frédéric Bourdin im Podcast: Verbrechen ohne Namen Vo(r)n

Wenn ein Fall so spannend ist wie dieser, dann wird er nicht selten auch in True Crime Podcasts aufgegriffen. Eine schöne Folge dazu gibt es im Podcast Verbrechen ohne richtigen Namen. Die Macher gehen darin ausführlich auf die besondere Vorgehensweise Bourdins ein, mit der er seine Familie und das FBI lange Zeit täuschen konnte. Da es sich bei Vo(r)n um einen Comedy True Crime Podcast handelt, gibt es an vielen Stellen den einen oder anderen lustigen Fakt, der die Folge sehr unterhaltsam macht. Wer so etwas nicht mag und sogar kritisiert, sollte nicht reinhören.

Verbrechen ohne richtigen Namen Podcast Vo(r)n

Vielleicht kennst du die Hoster Etienne, Georg und Jochen von NBC Giga oder ihrem anderen Podcast (Podcast ohne richtigen Namen – Po(r)n). Die lustigen Jungs sind mehr für die Unterhaltung zuständig, der Fall selbst wird von der charmanten Alice erzählt, die einfach unglaublich gut recherchiert und an Details herankommt, die viele andere Podcasts übersehen. Ein sehr empfehlenswerter Podcast mit viel Tiefgang und dem einen oder anderen Witz.

Du willst noch mehr True Crime Podcasts entdecken? Dann schau dir auch die Fälle von Bernie Tiede und Marjorie Nugent, Love Scamming oder Dellen Millard und Mark Smich an.

Frédéric Bourdin ist eine der faszinierendsten und vielschichtigsten Figuren in der Welt der Hochstapelei und des Identitätsdiebstahls. Seine gewagten Identitätswechsel und seine Fähigkeit, seine Mitmenschen zu täuschen, haben ihn zu einer Legende gemacht. Während seine Taten von einigen als unmoralisch und grausam angesehen werden, bleibt Bourdins Geschichte ein faszinierendes Beispiel dafür, wie weit ein Mensch gehen kann, um Liebe, Anerkennung und ein neues Leben zu finden.

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